Interview – David Lama: Kletterfilm “CERRO TORRE” – Bergsteigen ist vor allem eine Frage der Haltung

von | 16. Februar 2014 | Interviews und Potraits, Outdoornews

Zweimal war er zuvor bereits gescheitert. Musste heftigste Kritikstürme über sich  ergehen lassen. Doch dann kam der Moment. Sein Moment. Im Januar 2012 gelang dem damals erst 21-jährigen Ausnahmetalent David Lama das, was in der alteingesessenen Kletterszene als nahezu unmöglich galt: die freie Begehung des Cerro Torre (3.128m) ohne künstliche Hilfsmittel. Damit schaffte der Innsbrucker das, was Cesare Maestri und Toni Egger vor 53 Jahren (vermutlich) verwehrt blieb. Denn der von Maestri verkündete Gipfelerfolg wird mangels  an Beweisen und aufgrund des tödlichen Absturzes seines Kletterpartners bis heute angezweifelt. Als unbestritten gilt hingegen die freie Erstbegehung von 2012. Gemeinsam mit seinem Seilpartner Peter Ortner brauchte David Lama rund 24 Stunden, um die berühmte „Kompressorroute“ an der Südostflanke des „Turm-Berges“ zu durchsteigen. Eine Expedition, die in die alpine Geschichte eingehen und die ärgsten Kritiker des mehrmaligen Jugend-Weltmeister im Sportklettern verstummen lassen sollte. Doch sowohl die Sticheleien als auch die Genugtuung des Erfolgs hinterließen Spuren – in der alpinen Kletterszene als auch bei David Lama selbst.

Interview - David Lama über den Kletterfilm “CERRO TORRE”

In dem beeindruckenden Kletterfilm „CERRO TORRE – Nicht den Hauch einer Chance“, der am 13. März 2014 bundesweit in den Kinos anläuft, wird das mehrjährige Abenteuer nachgezeichnet und die sportliche wie auch die persönliche Entwicklung des Ausnahmetalents dokumentiert. Wir haben den jungen Alpinisten im Rahmen seiner Promotion-Tour in München getroffen und mit ihm über seine gesammelten Erfahrungen und Eindrücke während seiner Expedition nach Patagonien gesprochen. Besonders beeindruckt hat uns dabei, wie reflektiert und wohl überlegt David Lama (23) unsere Fragen beantwortete – ein wirklich sympathischer Bursche, der mit Sicherheit noch für die ein oder andere Überraschung gut sein wird.

Interview mit David Lama (AUT)

Erst einmal herzlichen Glückwunsch zum Erfolg am Cerro Torre. Wie fühlt es sich an, als erster Kletterer im Freistil über die Südflanke den Gipfel gepackt zu haben?
Für mich bedeutet der Erfolg bei dem Projekt eigentlich relativ wenig. Viel spannender war eigentlich die Reise und die Entwicklung selbst, die ich durchleben musste, um am Ende dort zu sein, wo ich nun stehe. Und das ist es auch, was ich am meisten mit dem Cerro Torre im Nachhinein verbinde und ihn für mich zu einem ganz speziellen Berg macht – sogar noch spezieller, als er ohnehin schon ist. Nicht ohne Grund gilt er für viele Bergsteiger und Kletterer als einer der schwierigsten und zugleich schönsten Berge überhaupt. Und auch für mich hat der Cerro Torre durch die in Patagonien gesammelten Erlebnisse nochmals an Bedeutung gewonnen.

Wie fiel eigentlich die Reaktion in der Kletterszene bei deiner Rückkehr aus, die dich nach deinen ersten beiden gescheiterten Versuchen ja eher belächelt hatte?
Hier sollte man vorab wissen, dass die alpine Kletterszene relativ klein ist und jeder jeden kennt. Und ja klar, mit ein paar von den heftigsten Kritikern von damals habe ich mich nach meiner Rückkehr dann auch getroffen oder zumindest per E-Mail untereinander ausgetauscht. Mittlerweile kann ich mich eigentlich mit allen am Abend zusammensetzen und ein Bier trinken gehen. Ich könnte mir sogar vorstellen, mit dem ein oder anderen auch einmal klettern zu gehen.

Also hat sich durch die erfolgreiche Besteigung etwas geändert?
Da hat sich sicher viel geändert. In der Kletterszene selbst und auch bei mir. Und das war auch wichtig, weil ich am Anfang als Sportkletterer aus einer Welt voller Regeln hin zum Alpinismus gekommen bin, wo im weitesten Sinne kaum festgelegte Regeln existieren. Hier zählt vielmehr die Haltung zum Berg und zum Bergsport an sich, die jeder erst einmal entwickeln muss – für sich selbst und über viele Jahre hinweg.

Ganz ehrlich, welche Angst war größer? Die Angst, erneut zu scheitern oder die Angst, sich bei der Expedition ernsthaft zu verletzen oder sogar abzustürzen?
Die Angst, erneut zu scheitern, würde ich nicht unbedingt als „Angst“ bezeichnen. Das war für mich eher eine Möglichkeit, die im Raum stand. Ich wusste aber, dass ich sicher nochmal hingefahren wäre, wenn es nicht geklappt hätte. Und dann hätte ich es definitiv so lange versucht, bis ich schlussendlich herausgefunden hätte, dass es einfach unmöglich ist, den Berg frei zu klettern. Oder dass es eben doch möglich ist. Und in diesem Fall wollte ich es dann natürlich auch als Erster packen.

Und was ist mit der Angst vor einem Absturz?
Angst ist auch hier vielleicht das falsche Wort. Man trifft vielmehr Entscheidungen oder Überlegungen, wenn man vor der Wand steht. Das ist aber eher Teil der Vorbereitung. Mental macht es aber schon einen Unterschied, ob man im Ötztal zum Sportklettern unterwegs ist oder nach Patagonien fliegt, um den Cerro Torre frei zu klettern. Aber in der Wand selbst hat man dann eigentlich keine Angst mehr, also ich für meinen Teil zumindest nicht. Die Angst als solche zeigt mir lediglich die Gefahren und Risiken auf, die ich dann zu minimieren versuche. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass immer wieder Eislawinen von oben runterkommen, so wie es am Cerro Torre aufgrund der warmen Temperaturen häufig der Fall ist, dann muss ich einfach früh genug in der Wand sein oder zumindest versuchen, so schnell wie möglich durchzukommen.

Interview - David Lama: Kletterfilm “CERRO TORRE” - Bergsteigen ist vor allem eine Frage der Haltung

Aber ein Restrisiko bleibt trotzdem immer noch, oder?
Natürlich, aber die Risiken lassen sich so auf ein Minimum reduzieren. Hat man das alles beachtet, dann kann man sich immer noch die Frage stellen: Ist es mir das wirklich wert, dass ich mich für zehn Minuten durch eine absolute Gefahrenzone bewege, nur weil mir das Erlebnis als solches soviel bedeutet? Wenn ich mir diese Frage dann ohne weiteres mit „Ja“ beantworten kann, ist es auch vollkommen legitim, in eine ziemlich schwierige Wand wie am Cerro Torre einzusteigen.

Dann hat im Jahr 2012 scheinbar alles gepasst?
Das stimmt, im dritten Jahr hat einfach alles gepasst. Musste es aber auch, denn wenn dem nicht so ist, hast du beim Freiklettern einfach überhaupt keine Chance. Gerade beim Freiklettern müssen absolut ideale Bedingungen herrschen: der richtige Tag, das richtige Wetter und vieles mehr. Immerhin bläst dir der Wind am Cerro Torre die meiste Zeit mit gefühlt 200 oder 300 km/h um die Ohren. Die Wände fallen bis zu 1.500 m senkrecht ins Nichts und bieten kaum Sicherungsmöglichkeiten, während unten dann der Gletscher auf dich wartet. Das macht diesen Berg zu einem wirklich ungemütlichen Ort, den man nur bei besten Bedingungen besteigen kann, sonst bläst dich der Wind einfach aus der Wand.

Dein Film “CERRO TORRE – Nicht den Hauch einer Chance” kommt im März in die Kinos, was wäre daraus eigentlich geworden, wenn du erneut gescheitert wärst?
Das ist eine Frage, die ich nur schwer beantworten kann. Der Film wäre aber sicher auch dann im Kino gelaufen, wenn ich es nicht geschafft hätte. Weil die Story bis dahin ja schon komplett war – er lebt ja vom Storytelling, den Bildern und dem Abenteuer an sich. Deshalb denke ich, dass er wohl auch ohne den Erfolg einer der Abenteuer-Filme des Jahres 2014 geworden wäre. Und mit der erfolgreichen Besteigung nun erst recht.

Kann man sich denn überhaupt auf ein Scheitern vorbereiten?
Man muss im Bergsport immer mit allem rechnen. Sich auf ein Scheitern speziell vorbereiten kann man aber kaum oder gar nicht. Schließlich spielt man ja immer mit dem Unmöglichen. Und genau das ist es ja auch, was uns Alpinisten so sehr reizt. Wir wollen immer als Erster etwas Neues machen. Denn dann sind noch alle Fragen offen. Wenn ich allerdings „nur“ etwas wiederhole, dann weiß ich als Alpinist, dass es grundsätzlich möglich ist. Und dann stellt sich lediglich die Frage, ob es auch für mich möglich oder nur für die anderen? In diesem Fall ist das Mögliche eben einfach nicht mehr so absolut.

Soll heißen, dass du deine eigene Antwort für den Cerro Torre gefunden hast?
Am Cerro Torre haben viele Leute gesagt, dass es unmöglich ist, ihn frei zu klettern. Natürlich musste ich dann einfach damit rechnen, dass das auch für mich selbst gilt. Und wenn man sich auf das Spiel des Unmöglichen einlässt, dann muss man es auch akzeptieren lernen. Cesare Maestri hatte diese Möglichkeit damals nicht akzeptiert und sich mit einer Maschine den Berg raufgearbeitet. Dadurch hat er im Grunde seine eigenen Ideale und seinen eigenen alpinen Stil verraten.

Bevor du 2012 in die Wand einsteigen konntest, haben damals zwei Kletterer aus Kanada und Amerika in einer beispiellosen Aktion die Bohrhaken der berühmten „Kompressor Route“ von Maestri entfernt und damit praktisch sein Erbe zerstört? Du selbst hast darauf relativ neutral reagiert, warum?
Das ist eine gute Frage. Für mich und mein Vorhaben waren die Bohrhaken und die Aktion selbst ja nicht wirklich von Bedeutung. Ich mache da eher einen Unterschied zwischen dem Akt der Handlung und dem Resultat an sich. Das Entfernen der Bohrhaken finde ich bestenfalls frech. Die eigenen Ideale und Vorstellungen – also die der beiden Kletterer – über alle anderen zu stellen, ist hingegen schon fast anmaßend.

Aber dafür ist der Berg ja jetzt wieder in seinem „Ur-Zustand“?
Genau, jetzt ist er wieder so wie er ganz ursprünglich war. Jetzt müssen die Kletterer die wirklichen Schwierigkeiten wieder in Kauf nehmen, um raufzukommen. Und das ist genau das, was mich im Freikletterstil immer wieder aufs Neue so motiviert. Weil du damit arbeiten musst, was dir der Berg bietet. Da nimmst du keine technischen Hilfsmittel zu Hilfe, da arbeitest du mit all dem was der Berg dir bietet.  Und das war und ist für mich der einzige Weg, wie ich den Cerro Tore besteigen will und wollte.

Selbst Reinhold Messner zeigte sich ehrfürchtig – bist du jetzt öfter bei Interviews und Vorträgen als auf großen Expeditionen anzutreffen?
Das sind nur einzelne Tage, einmal in Wien und in München. Wobei sich das mit der Premiere des Films am 13. März 2014 in München sicher noch ändern dürfte.  Aber an den restlichen Tagen habe ich nach wie vor genügend Zeit, um draußen unterwegs zu sein. Ohne, dass  jedes Mal auch ein Filmteam dabei sein muss – zu 90% bin ich dann ganz allein unterwegs.

Gab es denn inzwischen auch schon Anfragen anderer Klettergrößen, die mit dir nun auch einmal klettern gehen wollen? Sind bereits neue Projekte in Planung?
Klettergrößen … hmm … ich glaub es hat wohl jeder seine Partner mit denen es bestens funktioniert. Ich hab den Peter Ortner und den Hansjörg Auer und einige andere Kollegen wie Stephan Sigrist mit denen es einfach passt und mit denen ich auch meine weiteren Projekte plane. Aber nur weil man nun den Cerro Torre geschafft hat, wird man nicht auf einmal der Partner von jedermann. Da gehört schon weitaus mehr dazu, damit eine Seilschaft wirklich gut funktioniert.

Weitere Infos zum Kletterfilm:

Offizielle Website von David Lama: www.david-lama.com
David Lama auf Facebook: www.facebook.com/DavidLama
Website von Sebastian Stiphout Photography: www.sebastian-stiphout.com